Brief aus Berlin (5): Risse durch die SPD

Es geht ein Riss durch die SPD. Dies war der dominierende Eindruck, den ich beim SPD Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden gewonnen habe. Bei genauerer Betrachtung ist allerdings eine Plural-formulierung nötig, denn es handelt sich um Risse, nicht um einen Riss.

Hauptsächlich spaltet die Partei, wie die Debatten um den Leitantrag des Vorstandes zeigten, die Position zu den unter Gerhard Schröder eingeführten Arbeitsmarktreformen (Stichwort: Hartz IV). Während die einen für eine sofortige Abschaffung von Hartz IV und, darüber hinaus, die Streichung aller Sanktionen für die Hartz 4 Empfänger, die Auflagen der Arbeitsverwaltung nicht erfüllen, also beispielsweise Termine versäumen oder angebotene Jobs nicht annehmen, plädieren, fordern die andern mehr Selbstbewusstsein und eine positive Würdigung dieser Maßnahmen. Der zweite deutlich erkennbare Riss verläuft zwischen Parteiführung und Basis. Auch wenn es beim Parteitag in Mannheim 1995 schon einmal eine Kampfkandidatur, seinerzeit zwischen Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine gab, ist es ohne Beispiel, dass eine vom Parteivorstand nicht gewollte Kandidatin sich zur Wahl stellt – und mit 27 % der Stimmen mehr als einen Achtungserfolg erzielt. Die gleiche Erfahrung hat übrigens in den letzten Wochen die alte Parteiführung der SPD in Nordrhein-Westfalen gemacht, die ihre Vorstellungen für die Besetzung der Fraktionsführung nicht durchsetzen konnte.

Für unsere politische Arbeit in Berlin heißt dies, neben den Gesprächen mit den Regierungsfraktionen auch im engen Dialog mit der Opposition zu bleiben. Deshalb führen Hauptgeschäftsführer Hans-Ingo Biehl und ich in den nächsten Wochen viele Gespräche mit Abgeordneten der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen, deswegen besuche und beobachte ich den Parteitag der Linken Ende des Monats in Leipzig. Immer dem Motto folgend: die Opposition von heute ist die Regierung von morgen.

 

Über unseren Autor

Dr. Hubert Koch war bis März 2020 Repräsentant des VDR im politischen Berlin. In seinem Brief aus der Hauptstadt berichtete er, was sich hinter den Kulissen abspielt und an welchen Stellen die Lobbyarbeit des VDR ansetzt, um die Interessen seiner Mitglieder bestmöglich zu vertreten.